Genetik

Die Erforschung genetischer Faktoren bei der Spontanen Koronararteriendissektion (SCAD) hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht. Eine wegweisende genomweite Assoziationsstudie, bei der das gesamte Erbgut untersucht wurde, identifizierte 16 Risikogenorte (Risikoloci), von denen 11 erstmals beschrieben wurden. Diese Entdeckung markiert einen wichtigen Meilenstein im Verständnis der genetischen Grundlagen von SCAD.
Vererbung und genetische Risikofaktoren
Die genetische Veranlagung (Prädisposition) spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von SCAD. Etwa fünf Prozent der SCAD-Patienten weisen spezifische Genvarianten auf, die die Struktur und Stabilität der Arterienwände beeinflussen. In den meisten Fällen wird die Anfälligkeit für SCAD nicht durch eine einzelne Genvariation (monogen) verursacht, sondern durch das Zusammenwirken mehrerer genetischer Faktoren (polygen), wobei jede Variante einen kleinen Beitrag leistet. Diese Varianten kommen einzeln auch in der nicht an SCAD erkrankten Bevölkerung häufig vor. Bei etwa einem bis fünf Prozent der Fälle tritt SCAD familiär gehäuft auf und kann selten auch monogen vererbt werden.
Zusammenhang mit anderen Erkrankungen
SCAD steht in engem Zusammenhang mit anderen Gefäßerkrankungen wie der fibromuskulären Dysplasie (FMD), dem Ehlers-Danlos-Syndrom und Migräne. Bemerkenswert ist, dass einige SCAD-Risiko-Genorte (Loci) gegenläufige Auswirkungen bei der klassischen koronaren Herzkrankheit (KHK) zeigen: Genetische Varianten, die das SCAD-Risiko erhöhen, können gleichzeitig das KHK-Risiko senken. Dies unterstreicht, dass SCAD eine eigenständige Erkrankung mit eigenen genetischen Grundlagen ist und daher eine spezifische Behandlung erfordert. Eine Ausnahme bildet ein genetisch erhöhter Blutdruck, der sowohl bei SCAD als auch bei der KHK als Risikofaktor gilt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Blutdruckkontrolle bei allen Patienten.
Mechanismen und Wechselwirkungen
Die Forschung hat mehrere Gene identifiziert, die bei der Entstehung von SCAD eine zentrale Rolle spielen. Diese Gene regulieren wichtige Prozesse im Körper:
- Die Produktion von Kollagen und elastischen Fasern, die den Gefäßen ihre Stabilität geben
- Den Aufbau der Gewebestruktur außerhalb der Zellen (extrazelluläre Matrix)
- Die Kontrolle der Blutgerinnung
Veränderungen in diesen Genen können die Stabilität des Bindegewebes in den Herzarterien beeinträchtigen, die Entwicklung und Funktion der Gefäßmuskelzellen stören und die Ausbreitung von Blutergüssen in der Arterienwand begünstigen.
Wie genau das Zusammenspiel zwischen genetischer Veranlagung und anderen Faktoren wie bestehenden Gefäßerkrankungen oder weiblichen Hormonen funktioniert, ist noch nicht vollständig geklärt. Diese Wechselwirkungen könnten aber erklären, warum Frauen häufiger von SCAD betroffen sind als Männer.

Genetische Beratung und Ausblick
Eine routinemäßige genetische Untersuchung wird aufgrund des komplexen polygenen Erbgangs derzeit nicht für alle Patienten empfohlen. Eine genetische Beratung sollte jedoch in Erwägung gezogen werden, wenn SCAD familiär gehäuft auftritt, zusätzliche Bindegewebserkrankungen vorliegen, eine Schwangerschaft geplant ist oder die Erkrankung in sehr jungem Alter auftritt. In einer genetischen Beratung werden ausführlich die individuellen Risiken, mögliche Untersuchungen und potentielle Auswirkungen auf die Familie besprochen.
Die weitere Erforschung der genetischen Grundlagen von SCAD ist von großer Bedeutung. Sie ermöglicht ein besseres Verständnis der Krankheitsentstehung und die Entwicklung gezielter Präventionsstrategien. Zudem eröffnet sie Wege für neue, personalisierte Behandlungsansätze und verbesserte Risikovorhersagen. Die Identifizierung von weiteren Genen, die an der Gewebestruktur oder an der Blutgerinnung beteiligt sind, bietet vielversprechende Ansätze für zukünftige therapeutische Strategien zur Behandlung oder Prävention von SCAD.
